Text: Clara Ziegler Lopez, Tobias Hladovec; Fotos: Randy Fath via Unsplash, Yusuf Yassir via Unsplash
Eine kurze Geschichte des Sudan
Die Geschichte des nordafrikanischen Staates Sudan ist eine Geschichte von Machtkämpfen und Bürgerkriegen. Schon zur Pharaonenzeit bekämpfte sich das ehemalige Nubien bzw. das Königreich von Kusch - heute Sudan - mit dem ägyptischen Königreich. Das Königreich Kusch ging Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus unter, genau während jener Zeit, in der sich das Christentum in der Region ausbreitete. Erst Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden arabische Reiche und damit begann auch der Einfluss des Islam größer zu werden.
Im 19. Jahrhundert kam der Sudan unter ägyptische Herrschaft, was zu heftigen Kämpfen führte. Doch nicht nur Ägypten interessierte sich für den Sudan als Handelsplatz - auch die Kolonialmacht Großbritannien wollte ein Stück vom Kuchen und kolonisierte das afrikanische Land gemeinsam mit Ägypten bis 1953. Zu dieser Zeit wurde der Süden des Landes stark durch Missionare vom Christentum beeinflusst, während der Norden sich dem islamischen Ägypten anschließen wollte. 1956 wurde die Republik Sudan ausgerufen, doch Frieden war nicht in Sicht, denn es herrschte ein langer Krieg zwischen dem islamisch-arabischen Norden und dem christlichen Süden. Dieser Bürgerkrieg begann schon 1955 und brach bis zum Friedensschluss 2005 mehrmals aus. Der Südsudan wurde erst 2011 offiziell unabhängig.
Der Machtkampf zwischen der Armee und der RSF
Umar Hasan Ahmad al-Bashir ist ein ehemaliger Politiker, Revolutionär, Soldat und Diktator. Er war von 1993 bis 2019 Präsident des Sudan und regierte islamisch-fundamentalistisch. Er war der erste amtierende Staatschef, gegen den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl erlassen hat. Ihm werden Völkermord, Verbechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vorgeworfen.
Im April 2019 kam es zu einem Militärputsch und al-Bashir wurde abgesetzt. Dies führte zu einem weiteren heftigen Machtkampf zwischen dem Militär und der Opposition - unzählige Kritiker*innen wurden ermordet. Aus der Unsicherheit kam eine Entscheidung heraus: Ein sogenannter “Souveräner Rat”, der drei Jahre regieren sollte, wurde eingeführt. Danach sollten wieder Wahlen angesetzt werden. Nach dem Sturz von al-Bashir übernahm der Generalinspektor des sudanesischen Militärs, General Abdel Fattah al-Burhan, die Regierung. Er war jedoch nicht der mächtigste Mann im Land, denn das war Mohamed Hamdan Daglo, Anführer der paramilitärischen RSF (“Rapid Support Forces”). Daglo war offiziell al-Burhans Stellvertreter in diesem “Souveränen Rat”.
Aufgrund von Druck aus anderen Ländern versprach al-Burhan eine zivile Regierung aus gewählten Vertreter*innen, die nicht aus dem Militär kommen, zu ermöglichen. Diese zivile Regierung sollte am 11. April dieses Jahres eingesetzt werden. Doch die zwei Sicherheitskräfte, der RSF und das Militär, konnten sich bei Verhandlungen nicht einigen. Die Reform des Sicherheitssektors war besonders umstritten, denn es sollte nur eine Armee in einem Nationalstaat geben - das Militär ist für die Auflösung der RSF. Die Streitigkeiten eskalierten und nun herrscht im Sudan seit dem 15. April ein erneuter Bürgerkrieg.
Postkolonialismus
Die heutigen Kämpfe und die konfliktreiche Geschichte des Sudans sind nur mit der kolonialen Vergangenheit des Landes zu verstehen. Großbritannien und andere europäische Länder haben beinahe den gesamten afrikanischen Kontinent kolonisiert. Wenn man auf die Landkarte Afrikas blickt und diese mit Europa vergleicht, fällt auf, dass die Ländergrenzen keinen kulturellen, religiösen oder politischen Gründen folgen. Damit waren Konflikte, Kriege und Instabilität vorprogrammiert. Durch die koloniale Ausbeutung konnte sich auch im Sudan keine unabhängige, freie Gesellschaft entwickeln, da die Profitinteressen der Kolonialmächte im Vordergrund standen. Auch wenn der Sudan heute formell ein unabhängiges Land ist, so hat der Kolonialismus tiefe Spuren in der sudanesischen Gesellschaft hinterlassen.
Unter dem Begriff Postkolonialismus versteht man das andauernde Fortbestehen kolonialer Abhängigkeitsverhältnisse. Die ehemaligen Kolonien waren und sind nämlich wirtschaftlich, politisch und kulturell eng mit ihren ehemaligen Kolonialmächten vernetzt. Diese Abhängigkeit wird politisch und wirtschaftlich von Europa genutzt. Die Europäische Union hat beispielsweise großes Interesse an den wertvollen sudanesischen Rohstoffen. Aus diesem Grund scheint es für die EU auch kein Problem zu sein, mit al-Bashir und der RSF zusammenzuarbeiten: Damit flüchtende Menschen nicht über den Sudan nach Europa kommen, hat die EU seit 2016 mindestens 100 Millionen Euro ausgegeben. Dieses Geld wanderte allerdings größtenteils in die Taschen der RSF und korrupten Politiker*innen, was den Machtkampf weiter verschlimmerte.
Doch nicht nur Europa ist in den Konflikt verwickelt, Russland hat ebenfalls Interesse an den Ressourcen des Sudan. Die russische Söldnertruppe Wagner pflegte enge Kontakte zu Daglo, der ihnen die Ausbeutung von Goldminen gestattet hat. Als eines der rohstoffreichsten Länder Afrikas spielen auch die USA, China und andere Länder eine entscheidende Rolle und versuchen, im Sudan an Einfluss zu gewinnen.
Die Bemühungen um den Frieden
Die Kämpfe, vor allem um die Hauptstadt Khartoum, eskalierten schnell und führten zu einer katastrophalen Versorgungslage für die zivile Bevölkerung. Ausländische Staatsangehörige wurden schnell evakuiert, während die sudanesische Bevölkerung seit Monaten unter den Auswirkungen des Kriegs leidet. Der Bürgerkrieg führte zu einer Fluchtbewegung von über einer Million Menschen und schätzungsweise 10.000 Toten, wobei die Dunkelziffer weit höher liegen dürfte. Die Vermittlungsversuche der Vereinten Nationen konnten zwar kurze Waffenstillstände erreichen, die allerdings nie eingehalten wurden. Der Konflikt tobt daher weiter, obwohl die Medien seit Monaten kein Wort über die Lage im Sudan verlieren. Eine Lösung des Konflikts liegt somit in weiter Ferne. Außerdem wird es nicht nur auf die Armee und die RSF ankommen, einen Frieden auszuhandeln - die Voraussetzungen für Frieden wurzeln weit tiefer. Erst wenn die EU, Russland, die USA und weitere Länder damit aufhören, ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen am afrikanischen Kontinent durchzusetzen, haben sowohl der Sudan als auch zahlreiche andere afrikanische Staaten die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen.