Text: Nives Pjanic; Foto: OLGA MALTSEVA/AFP via Getty Images
„Der Feminismus als politische Kraft kann nicht auf der Seite eines Angriffskrieges und einer militärischen Besatzung stehen“, heißt es in dem Manifest der russischen Antikriegskampagne „Feminist Anti-War Resistance“ (FAR), welches in über 30 Sprachen übersetzt wurde. Am 25. Februar 2022 gegründet, um sich gegen den Angriffskrieg zu organisieren, ist FAR zu einer der am schnellsten wachsenden Antikriegsorganisationen Russlands geworden.
Die rasche Mobilisierung der FAR basiert darauf, dass feministische Vereinigungen in Russland bereits vor dem Krieg gut untereinander vernetzt waren. Mittlerweile hat die feministische Initiative mehr als 38 Tausend Follower auf Telegram und hat es geschafft, am 8. März 2022 Menschen in über 112 Städten auf die Straße zu holen, um den Ermordeten in der Ukraine zu gedenken. Der Telegram-Account dient als Hauptkommunikationskanal, über den Aktionen geteilt und Informationen verbreitet werden. FAR versteht sich als Organisation ohne hierarchische Strukturen, jeder, der/die ihre Werte teilt, kann beitreten.
Die Teilnahme an einer solchen Organisation, sei es in Form von Protesten oder simplen Social Media Postings, ist allerdings brandgefährlich. Aktivist*innen drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Eine der Mitinitiator*innen der FAR, Ella Rossman, berichtet außerdem von vermehrten sexuellen Übergriffen gegen Frauen in russischen Gefängnissen. Die große weibliche Beteiligung sieht Rossman als klares Merkmal der Antikriegsbewegung.
FAR teilt sich in verschieden Bereiche auf: rechtliche als auch psychologische Unterstützung, Hilfe für ukrainische Flüchtende, Hilfe für jene, die aus Russland fliehen müssen sowie Antikriegspropaganda in Form von Social Media und der Zeitung „Zhenskaya Pravda“ dt.: „Weibliche Wahrheit“. Die Zeitschrift richtet sich an apolitische Frauen und verwendet eine niederschwellige Sprache, ohne übermäßig theoretische Begriffe zu verwenden.
Die verschiedenen regionalen FAR-Gruppen sind landesweit kaum miteinander vernetzt, es steht jeder Gruppe frei, ohne zentrale Abstimmung Aktionen zu organisieren. Das Fehlen einer zentralen Koordinierungsstelle macht sie widerstandsfähiger gegen Angriffe. Dies bietet auch Schutz für den Fall, dass die Polizei Telefone beschlagnahmt oder sie zur Herausgabe digitaler Daten zwingt. Aus Sicherheitsgründen bleiben die Mitglieder und Organisator*innen anonym, ausgenommen internationale Sprecher*innen im Ausland. Aufgabe internationaler Aktivist*innen ist die globale Vernetzung mit feministischen Organisationen und der Aufbau eines größeren Netzwerks.
Ethnische Minderheiten als Kanonenfutter
Im Herbst 2022 sorgte die russische Teilrepublik Dagestan für Schlagzeilen, als Frauen auf die Straße gingen, um gegen die Teilmobilisierung zu protestieren. Das muslimisch geprägte Dagestan gehört zu den Regionen Russlands, aus denen im Zuge der Mobilmachung besonders viele Männer eingezogen wurden. Aktivisten beklagen, dass Angehörige ethnischer Minderheiten besonders stark von der Mobilmachung betroffen sind und sprechen deshalb teils sogar von "ethnischen Säuberungen". Häufig geteilte Videos in den sozialen Medien zeigen Frauen in Dagestan, die sich der Polizei stellen und fragen: „Warum nehmt ihr unsere Kinder mit? Wer hat wen angegriffen? Russland hat die Ukraine angegriffen!“.
Parallel zu feministischen Initiativen hat der russische Angriffskrieg eine Welle von Widerstand durch ethnische Minderheiten ausgelöst. Die Invasion der Ukraine ist nichts Neues – sie reiht sich in eine lange Geschichte des russischen Kolonialverständnisses ein. Antikriegsbewegungen wie die „Free Buryatia Foundation“ nutzen den Krieg für eine Aufarbeitung des historischen Rassismus innerhalb Russlands. Das Ziel der „Buryats Against War“ ist, sowohl den Krieg gegen die Ukraine zu bekämpfen, als auch das Problem des Rassismus in Russland zu lösen. Alexandra Garmazhapova, Präsidentin der Organisation, betont die Wichtigkeit der Stiftung mit der unverhältnismäßig großen Zahl burjatischer Soldaten, die im Krieg starben.
Free Buryatia erfasst Statistiken über Verluste während des Krieges, bietet Rechtsberatung, bekämpft Kriegspropaganda und setzt sich dafür ein, russische Soldaten daran zu hindern, in die Ukraine zu gehen. Der größte Teil des Teams befindet sich jedoch nicht in der Russischen Föderation, wo jeglicher Aktivismus kriminalisiert wird. Jene, die in Russland aktiv sind, machen es ihren feministischen Mitstreiter*innen nach und bleiben anonym. Gruppen wie die Sakha Pacifist Association, das New Tuva Movement oder Asians of Russia haben den Großteil ihrer aktivistischen Arbeit auf Social Media Kanäle verlegt, die nur mit VPNs zugänglich sind.
Die Bedeutung der Opposition ethnischer Minderheiten kann nicht oft genug betont werden. Ihre Bemühungen führen zu einem besseren Verständnis des russischen Imperialismus – und damit der russische Imperialismus besiegt werden kann, muss er erst mal verstanden werden.
Миру Україні! Свобода Росії! / Мир Украине! Свободу России! / Frieden für die Ukraine! Freiheit für Russland!