Feykom ist der Dachverband der Kurdischen Vereine in Österreich. Dazu gehören Sportvereine, religiöse Vereine und viele Kulturvereine. Demkurd ist der örtliche Verein, in der die kurdische Community zusammenkommt, sich trifft und sowohl politische als auch kulturelle Arbeit macht. Der Faktor hat sich mit Demkurd getroffen und ein Interview geführt. Im Fokus des Gesprächs standen dabei die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und vor allem die Auswirkungen auf die kurdische Minderheit. Unterdrückung, Verfolgung und Gewalt sind dabei ständige Begleiter. Außerdem haben wir darüber gesprochen, inwieweit Wien Zufluchtsort für Kurd*innen ist und wie wir die kurdische Community in unserer Stadt unterstützen können, um ihnen mehr Gehör und Perspektive zu verschaffen.
Faktor
Zu Beginn des Interviews einmal ganz allgemein gefragt: Welche Politik hat der türkische Präsident in den letzten 20 Jahren verfolgt?
Demkurd
Grundsätzlich muss man Erdogans Politik in mehrere Phasen gliedern. Während der ersten Phase, als Erdogan mit seiner religiös-konservativen AKP zum ersten Mal angetreten war, hatten zunächst viele Menschen die Befürchtung, dass sich seine Partei sehr schnell radikalisieren würde, sobald sie an der Macht ist. Doch Erdogan hat sich zunächst anders “verkauft”. Er hat versucht, sich und seine Partei bewusst als Vertreter des gemäßigten Islams darzustellen, um die Mehrheit der Bevölkerung in der Türkei zu überzeugen, aber auch um die Beziehungen nach Europa zu stärken und davon selbst zu profitieren. Ebenfalls versuchte er, Bündnispartner in der Türkei zu finden. Diese Vorgehensweise brachte ihm zu Beginn sehr viel Lob aus dem Westen, da sich viele Staaten Veränderungen erhofft hatten. Das Kalkül dahinter war aber ein anderes.
Demkurd
Den Startpunkt der ersten Phase Erdogans markieren die Parlamentswahlen 2002. Diese Wahlen konnte die AKP gewinnen und im Jahr darauf wurde er als Ministerpräsident angelobt. Doch sein Ziel war nicht die Regierung oder das Amt des Ministerpräsidenten, das waren nur notwendige Zwischenetappen. Erdogans Bestreben und oberstes Ziel war es, die Hegemonie im Land zu übernehmen und den Staat mit seinen Institutionen so zu verändern, dass er und seine Partei nicht mehr austauschbar sind. Die Bürokratie, der Justizapparat, die Polizei, die Geheimdienste, kurzum alle zentralen Institutionen des Staates sollten mit Vertrauten aus seiner Partei und seinem Umfeld besetzt werden. Beispielsweise sollten vakante Richter*innen-Posten nicht mehr durch Personen mit bester Qualifikation nachbesetzt werden, sondern aufgrund ihrer Loyalität zu Erdogan und der AKP. Erdogan wusste jedoch, dass eine derartig einschneidende Veränderung nicht von heute auf morgen, sondern nur schleichend vonstattengehen kann, um damit auch langfristig erfolgreich zu sein. Er wollte seinen Ruf als gemäßigter und fortschrittlich orientierter Politiker nicht schon zu Beginn seiner Amtszeit aufs Spiel setzen. Aus diesem Grund war er auch auf Mehrheiten mit anderen Parteien angewiesen. Erdogan und die AKP haben stets mit jenen Parteien koaliert, die für sie bei der Erreichung ihrer Ziele zum jeweiligen Zeitpunkt am besten geeignet waren. Häufig wechselnde Mehrheiten im Parlament waren eine Konsequenz dieser Politik.
Was den Beginn seiner Amtszeit außerdem kennzeichnet, ist ein scheinbarer Kurswechsel im Umgang mit der kurdischen Minderheit im Land. In großem Stil wurde damals ein Schein-Friedensprozess eingeleitet - ebenfalls aus taktischen Gründen. Erdogan bereiste kurdische Gebiete, erklärte das “Kurdenproblem” zu seinem eigenen Problem und nährte damit viele Hoffnungen, dass ein Ende der jahrzehntelangen Assimilierungspolitik bevorstehen würde. Von der kurdischen Bewegung wurde allerdings gewarnt. Unter anderem wurde vor einem Umbau des Staates gewarnt, als erkennbar war, was Erdogan - zum Beispiel mit dem Justizapparat - vor hatte. All jene einschneidenden Veränderungen des Rechtsstaates, die in Polen, Ungarn und Russland schon vor Jahren kritisiert wurden und momentan auch in Israel mit Sorge beobachtet werden, hat Erdogan ebenfalls in der Türkei vollbracht. Er hat mehrmals die Verfassung geändert, das Präsidialsystem eingeführt, welches die Macht bei ihm zentralisiert, er hat das Parlament extrem geschwächt und er persönlich bestimmt seit vielen Jahren Juristen und Höchstrichter. Dieser Umbau des Staates hatte vor allem den Zweck, die Hegemonie aufzubauen. Und je mehr Macht Erdogan erlangt hatte, desto autoritärer wurde der Staat.
Faktor
Gab es einen bestimmten Zeitpunkt, an dem die Kehrtwende Erdogans, vor allem in der Kurd*innenfrage, aber auch sein Wandel vom gemäßigten Politiker hin zum Autokraten, besonders auffallend war?
Demkurd
Es gab mehrere Kampffelder, anhand derer man Erdogans Kehrtwende erkennen konnte. So gab es 2009 die ersten Massenfestnahmen von Mitgliedern der zu diesem Zeitpunkt größten kurdischen Partei DTP (Demokratische Gesellschafts Partei), welche bei den Wahlen zuvor überraschend gut abgeschnitten hatte. Diese Verhaftungen markieren auch das Ende des zuvor angesprochenen Friedensprozesses.
Ein weiteres wichtiges Kampffeld war das Militär: Erdogan hat in dieser Phase bestimmte Verfahren durchgeführt, um das Militär zu entmachten. Generäle beispielsweise wurden zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei zu Gefängnisstrafen verurteilt. Begründet wurde dies mit einem angeblichen Putschversuch des Militärs gegen Erdogan.
Außerdem wurde für sämtliche Koalitionspartner der AKP ab 2009/10 deutlich, dass diese nun auch ihre Macht in den Institutionen des Staates ausbauen möchte - gerade in jenen Organen des Staates, die noch nicht von ihr besetzt waren. Erdogans Problem an dieser Stelle: Die Bündnispartner sind ihm ausgegangen. Das war auch der Grund, warum er das Militär zunehmend wieder mit Macht ausgestattet und eine informelle Zusammenarbeit angeboten hat.
Nachdem es allerdings in den kurdischen Gebieten zunehmend zu Massenaufständen kam, sah sich Erdogan vorübergehend gezwungen, ab dem Jahr 2011 eine zweite Schein-Friedensphase mit den kurdischen Gebieten zu proklamieren, nur um diese kurz darauf wieder platzen zu lassen. Als konkrete Schritte umgesetzt werden sollten, die im Zuge des Friedensprozesses verhandelt wurden, gab es wieder Massenfestnahmen und den Beginn von Militäreinsätzen. Erdogan saß zum damaligen Zeitpunkt allerdings nicht so fest im Sattel wie heute, deshalb war sein Vorgehen durchaus ein Risiko für sein Amt. Der Ausgang dieser Situation war nicht klar. Es gab in der Türkei auch die Stimmung, dass das Land auf keinen Fall in ein dunkles Zeitalter zurückfallen sollte. Deshalb war Erdogan sehr vorsichtig mit seiner weiteren Vorgehensweise - viele nahmen ihn möglicherweise aus diesem Grund nicht ganz ernst. Bis 2013 hatte der türkische Präsident mit dieser für ihn unsicheren Situation zu kämpfen. Das Militär war aus seiner Sicht nach der Entmachtung noch nicht wieder soweit hochgerüstet, dass man damit Krieg hätte führen oder ein entschlossenes Vorgehen in der Kurd*innenfrage hätte riskieren können. Ein weiterer “Friedensprozess” wurde daher im Jahr 2013 in Gang gesetzt. Diese Phase nutzte Erdogan bewusst, um das Militär erneut zu restrukturieren und massiv hochzurüsten. Die kurdische Bewegung hatte auch Interesse, einen Friedensprozess zu starten. Man wollte nach der erfolgreichen Befreiung von Rojava nicht alles auf die militärische Karte setzen, da man wusste, dass eine langfristige militärische Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat illusorisch ist. 2015 wurde dieser Friedensprozess auf eine ähnliche Art und Weise wie jene Prozesse zuvor beendet.
Faktor
Gab es zu diesem Zeitpunkt eigentlich eine kurdische Partei, die im türkischen Parlament vertreten war?
Demkurd
Es gab die HDP (Demokratische Partei der Völker), die aus dem Friedensprozess 2013-2015 gestärkt hervorgegangen war. Bei der Wahl 2015 konnte sie mit über 13% sogar die hohe 10%-Hürde für den Einzug ins türkische Parlament knacken und war dort im Anschluss mit über 80 Sitzen vertreten. Zu dieser Zeit wurde die HDP zur großen Hoffnung der Sozialist*innen und Linken in der Türkei. Das war Erdogan natürlich ein Dorn im Auge. Die Parlamentswahlen waren für ihn nämlich für die Legitimierung der Hegemonie notwendig. Ab diesem Zeitpunkt begannen auch die Bombardements auf jenen kurdischen Gebieten, die sich seit der Revolution in Rojava selbst verwalten wollten. Den Bombardements waren Belagerungen vorhergegangen, bei denen zum Teil die Zivilbevölkerung und sogar Jugendliche beschossen wurden. Fast alle Bürgermeister*innen in kurdischen Städten und Gemeinden wurden abgesetzt und sämtliche Strukturen gezielt zerstört, die in den Selbstverwaltungen aufgebaut wurden. Die plötzliche Gewalt, mit der der türkische Staat vorgegangen war, markiert einen traurigen Höhepunkt der Aushebelung der Demokratie in Kurdistan. Deshalb betrachten wir die türkische Politik gegenüber den Kurd*innen als eine Vernichtungspolitik. Natürlich geht es ihnen darum, die kurdischen Gebiete zu besetzen, umzuformen und einen demografischen Wandel herbeizuführen. Das zeigte sich ja heuer auch sehr gut, als den kurdischen Hilfsorganisationen die Bergung von Erdbebenopfern in kurdischen Gebieten erschwert wurde. Manche Hilfsorganisationen wurden sogar verboten. All das ist ein Ausdruck der Assimilierungspolitik, wie sie auch von Erdogan fortgesetzt wurde.
2016 gab es den endgültigen Bruch nach dem inszenierten Militärputsch. Die Folge dieses Militärputsches waren vor allem zivilgesellschaftliche Verschlechterungen und ein weiterer massiver Umbau des Staates - viel größer als jener um 2009. Hunderttausende Menschen, die beim Staat angestellt waren, wurden entlassen. Darunter waren Polizist*innen, Jurist*innen, Anwält*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen, aber auch Universitäts- und Bildungspersonal, die entweder gekündigt oder sogar inhaftiert wurden. Außerdem wurden Medien entweder gleichgeschaltet oder, wenn das nicht möglich war, verboten. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die daraus resultierende Fluchtbewegung von Akademiker*innen. Es gab einen regelrechten Braindrain ins Ausland. Nochmal hunderttausende Menschen verließen die Türkei. Zeitgleich formte Erdogan die AKP zu einer Ein-Mann-Partei, setzte enge Vertraute und Familienmitglieder in Schlüsselpositionen und schloss alle kritischen Parteimitglieder aus.
In den Jahren 2018 und 2019 folgten Besatzungen von mehreren kurdischen Gebieten durch das türkische Militär, unter anderem in der Stadt Afrin, und heute finden laufend Giftgasangriffe in nordirakischen Gebieten statt. Die Zivilgesellschaft in kurdischen Gebieten, wie zum Beispiel Rojava, ist ständigen Drohnenangriffen ausgesetzt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Türkei nun dafür Rache übt, dass die Menschen in Rojava den IS besiegt haben. Es werden nämlich genau jene kurdischen Gebiete angegriffen, die der IS vor einigen Jahren auch angegriffen hat. Damit leistet die Türkei dem Islamischen Staat, der längst nicht besiegt ist, noch zusätzliche Schützenhilfe. Als im vergangenen Jahr etwa 5.000 Häftlinge, Angehörige und ehemalige Funktionäre des IS einen Gefängnisausbruch starteten, bekamen sie von türkischer Seite noch Hilfe.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Erdogan seine beiden Ziele fast vollständig erreicht. Der Verfassungs- und Staatsumbau war vollzogen, die Institutionen mit Parteigängern besetzt, die Hegemonie durch den inszenierten Putschversuch war auf seiner Seite. Das brutale Vorgehen war plötzlich legitimiert. Lange schon ging es bei Wahlen nicht mehr um die wirtschaftliche Lage des Staates oder wie das Leben der Menschen verbessert werden könnte sondern ausschließlich um den Kampf gegen die Opposition und gegen Kurd*innen. Sie wurden von Erdogan und der AKP ständig beschuldigt, dass sie mit Terroristen zusammenarbeiten würden. Gerade dieses eine, bewusst hoch emotionalisierte Thema, bestimmt auch heute immer wieder Wahlkämpfe in der Türkei. Erdogan braucht diese Polarisierung.
Faktor
Machen wir an dieser Stelle einen thematischen Schnitt und springen in die Gegenwart und nach Wien. Was ist denn eigentlich die Hauptaufgabe von eurem Verein und welchen Aktivitäten geht ihr nach?
Demkurd
Der Verein ist in erster Linie natürlich für die Community da. Das heißt, dass Mitglieder zusammenkommen, sich vernetzen und sich untereinander auch beispielsweise mit der Bürokratie hier in Österreich unterstützen. Es geht auch darum, sich über die Situation in der Heimat Kurdistan auszutauschen, aber auch Deutschkurse anzubieten und sich weiterzubilden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, die vor allem dazu dient, Sprachrohr für die Menschen in Kurdistan zu sein und die Gesellschaft hier in Österreich über die Verfolgung und Folter von Kurd*innen aufzuklären.
Faktor
Habt ihr das Gefühl, dass ihr gehört werdet mit euren Anliegen? Gibt es Unterstützung durch die Stadtpolitik zum Beispiel, ist Wien ein sicherer Zufluchtsort für all jene Kurd*innen, die in ihrer Heimat verfolgt werden?
Demkurd
Es gibt natürlich sehr viele Menschen, die uns hier unterstützen. Momentan erleben wir allerdings verstärkt auch wieder Abschiebungen von Kurd*innen, darunter auch Menschen, die 20 oder 30 Jahre lang in der Türkei im Gefängnis gesessen sind, in Wien um Asyl angesucht haben, ihnen dieses Asyl aber jetzt nicht gewährt wurde. An dieser Stelle muss man leider auch Kritik an der regierenden Wiener SPÖ üben. Um Wähler*innen zu gewinnen und die Macht in der Stadt zu erhalten, setzt man sich offensichtlich auch mit Anhängern und Ableger-Vereinen von Erdogan und der AKP, sogar mit den grauen Wölfen an einen Tisch - eine deutliche Abgrenzung zu ihnen vermissen wir seit langem. Dahinter steht jedoch ein großer Trugschluss: Man denkt offensichtlich, wenn man sich mit Erdogan fotografieren lässt und seine Vereine fördert, kann man auch die Stimmen seiner Anhänger in Wien für sich gewinnen. Aber die Mehrzahl jener Türken, die in Österreich leben, haben ihre Staatsbürgerschaft schon abgelegt und die österreichische angenommen, weil sie mit der nationalistischen Politik Erdogans nichts mehr zu tun haben wollen. Wenn Erdogan zwar 70% der in Wien lebenden türkischen Staatsbürger*innen auf seiner Seite hat, heißt das trotzdem noch lange nicht, dass die Mehrheit aller nach Wien migrierten Türk*innen hinter Erdogan steht und man es sich deshalb mit ihm und seinen Anhängern gut stellen muss.
Natürlich gibt es an der Politik der ÖVP und der FPÖ noch viel mehr zu kritisieren als an der SPÖ. Allerdings sind ÖVP und FPÖ kein Maßstab, an dem man sich messen sollte. Absurd ist es für uns vielmehr, dass gerade die Partei, die sich die Begriffe Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit an die eigene Fahnenstange heftet, einem Nationalisten und Autokraten, der die Demokratie ausgehebelt hat und Minderheiten im eigenen Land bombardieren lässt, den roten Teppich auslegt. Leider sind auch die linken Kräfte in der SPÖ, die sich mit uns früher noch stärker solidarisiert haben, schwächer geworden. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Solidarität mit uns bedeutet nicht, sich gegen Türk*innen zu stellen. Solidarität mit uns hätte aber zum Beispiel bedeutet, die Friedensprozesse, die in der Türkei stattgefunden haben, stärker zu unterstützen. Momentan haben wir das Gefühl, die Wiener SPÖ setzt sich lieber mit den grauen Wölfen an einen Tisch als mit uns. Warum positioniert sie sich in dieser Frage auf derart absurde Art und Weise?
Faktor
Stichwort Graue Wölfe in Wien: Wir erinnern uns noch gut an das Jahr 2020, wo sie in Favoriten aufmarschiert sind oder heuer auch wieder nach der Stichwahl in der Türkei am Reumannplatz mit türkischen Fahnen und dem faschistischen Wolfsgruß auf der Straße waren. Welche Rolle spielen die Grauen Wölfe in Wien und welche Stimmung löst das bei euch aus?
Demkurd
Wir werden niemals müde zu betonen, wofür die grauen Wölfe stehen: Sie sind eine faschistische Organisation, die davon spricht, in kurdischem Blut zu baden. Wir sagen aber auch ganz deutlich, dass das nicht die Meinung der Türk*innen repräsentiert. Die grauen Wölfe emotionalisieren die Gesellschaft stark, schaffen vor allem große Ressentiments in der Bevölkerung und deren Vorgehen führt zu einer Spaltung der Gesellschaft. Letzteres ist auch erklärtes Ziel der grauen Wölfe. Sie wollen diese Spaltung zwischen Türk*innen und dem Rest der Bevölkerung bewusst herbeiführen.
Die Armenische Kirche muss seit einiger Zeit sogar ihre Gebetshäuser absperren, weil türkische Nationalisten kommen und ständig Randale betreiben. Doch nicht nur offizielle Institutionen, sondern auch Privatpersonen werden immer wieder von Anhängern der grauen Wölfe bedrängt und bedroht. Einer kurdischen Familie ist das erst letzten Sommer in St. Pölten passiert. Für die breite Masse ist aber leider nicht erkennbar, dass es nationalistische Kräfte sind, die diese Übergriffe durchführen, weil der Diskurs in der österreichischen Gesellschaft nicht differenziert stattfindet. Im Diskurs in Österreich wird leider alles in einen Topf geworfen, ÖVP und FPÖ wollen dadurch die Gesellschaft ebenfalls spalten, nur aus einer anderen Richtung als die türkischen Nationalisten und Faschisten das tun. Wenn wir allerdings nicht wollen, dass Nationalisten sich organisieren und ausbreiten können und schon gar keine Übergriffe starten, dann müssen wir all jenen Kräften, die für eine offene Gesellschaft einstehen, die Möglichkeit geben, dass sie sich organisieren können - speziell auch hier in Österreich. Das passiert auf jeden Fall zu wenig. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung war das Verbot von Wahlkampfauftritten Erdogans in Europa. Es sind nämlich genau diese Auftritte, die den türkischen Nationalismus in vielen Ländern aufflammen lassen. Auftritte, bei denen sich der türkische Präsident als Schützer aller im Ausland lebenden Türk*innen inszeniert und damit selbst auch an der Spaltung der Gesellschaft mitgewirkt hat. Doch das interessiert seine Anhänger*innen nicht. Erdogan lebt von seiner “Beschützer”-Rolle. Damit schürt er zuvor angesprochene nationalistische Tendenzen und die Spaltung der Gesellschaft.
Faktor
Abschließend kommen wir zur Frage: Was braucht’s? Wie kann man euch unterstützen?
Demkurd
Was wir vor allem fordern, ist ein ganz anderer Umgang mit der Türkei. Kein Umgang, der von Nationalismus, Rassismus und Hass geprägt ist. Kein Umgang, so wie er von der ÖVP oder FPÖ betrieben wird. Es braucht einen Umgang, in dem man darauf pocht, dass Frieden mit den Kurden geschlossen wird, dass Aleviten und andere Minderheiten nicht mehr verfolgt werden, dass Armenien nicht mehr angegriffen wird und dass all die besetzten und annektierten Gebiete wieder zurück gegeben werden. Es kann außerdem nicht sein, dass demokratisch gewählte Bürgermeister*innen in kurdischen Gebieten nach jeder Kommunalwahl sofort ihres Amtes enthoben werden und durch türkische Zwangsverwalter*innen ersetzt werden. Für Kurd*innen ist die Türkei zu einem Freiluftgefängnis geworden, aber auch für andere Migrant*innen und Oppositionelle. Und da muss dringend gegengesteuert werden. Es braucht ein Umdenken. Es wird nie Frieden geben, wenn man sich nicht auch hier bei uns im Westen, hier in Österreich dafür einsetzt, in der Türkei Hass und Rassismus zu bekämpfen. Deshalb muss man vor allem jene Leute in der Türkei unterstützen und jenen eine Stimme geben, die heute noch Oppositionsarbeit leisten, sich gegen das Regime Erdogan, gegen den Nationalismus, gegen die Autokratie stemmen und die Demokratie, so sie noch in irgendeiner Form vorhanden ist, schützen wollen. Die Zusammenarbeit mit der Regierung Erdogan bedeutet nur mehr Leid für Kurd*innen, Minderheiten und Verfechter der Demokratie - die Zusammenarbeit mit den Betroffenen und mit der Zivilgesellschaft hingegen wäre ein Schritt in Richtung Frieden für alle Beteiligten.