Feministische Proteste im Iran

Text: Rhoda Kapl & Shirin Nina Dietl; Foto: Sarah Steinhäusler


Die Festnahme und anschließende Tötung der Kurdin Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei im September vergangenen Jahres markiert den Startpunkt der feministischen Proteste im Iran. Über viele Wochen anhaltende und landesweite Proteste der Zivilbevölkerung ließen den iranischen Machtapparat für kurze Zeit wanken - doch dieser antwortet nach wie vor mit brutaler Gewalt. Genau ein Jahr nach dem Beginn der Proteste scheint die Situation festgefahren.

Sie habe ihr Kopftuch nicht richtig getragen, so der vorgeschobene Grund ihrer Verhaftung durch einen Polizisten der sogenannten Sittenpolizei. Wenige Tage später starb die Aktivistin Jina Mahsa Amini an den schweren Verletzungen, die ihr nach der Festnahme in Haft zugefügt wurden. Ihr Schicksal ist zwar kein Einzelfall und auch nicht der erste Fall einer derartigen Misshandlung, doch es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. 


 

Die iranische Sittenpolizei gab es schon lange zuvor. Sie ist 2005 aus der islamischen Religionspolizei hervorgegangen. Die Aufgabe war jedoch dieselbe: dafür zu sorgen, dass die islamischen Gesetze in der Öffentlichkeit eingehalten werden. Eines dieser Gesetze ist das besagte verpflichtende Tragen eines Kopftuches für Frauen im öffentlichen Raum. Dieses Gesetz wurde durch die iranischen Behörden bis September 2022 konsequent, in vielen Fällen auch mit gewaltsamen Mitteln, durchgesetzt. Doch mit dem Tod von Jina Mahsa Amini brachen landesweite Proteste gegen die, bei vielen Menschen mittlerweile verhasste, Sittenpolizei aus. Die Kritik richtete sich allerdings nicht nur gegen diese Behörde, schnell rückte das islamische Regime im Iran in den Fokus der Proteste. Aus diesem Grund breiteten sich die Demonstrationen auch wie ein Lauffeuer aus. Das gesamte Regime sollte gestürzt werden.


 

Dabei demonstrierten zigtausende Iraner*innen auf der Straße, an Universitäten und in Schulen. Viele Frauen rissen sich symbolisch das Kopftuch herunter oder schnitten sich während der Proteste die langen Haare ab, als ein Akt des Widerstands gegen die Sittenpolizei. Diesen friedlichen Protesten ist der iranische Sicherheitsapparat mit brutaler Gewalt entgegengetreten. Allein in den ersten zwei Monaten hat es über 14.000 Festnahmen gegeben, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen stehen. Stand März 2023 wurden mehr als 140 Menschen wegen Beteiligung an den Protesten hingerichtet, hinzu kommen noch über 500 Demonstrant*innen, die von iranischen Sicherheitskräften erschossen oder zu Tode geprügelt worden sind. 

Der Mord Aminis hat auch international große Wellen geschlagen. Auf der ganzen Welt zeigten sich Menschen mit den iranischen Frauen solidarisch. Die deutsche Außenministerin beispielsweise präsentierte sich zwar als Unterstützerin der feministischen Protestaktion, die realpolitischen Handlungen blieben bis dato aber aus. Wenngleich Unterstützungsparolen natürlich begrüßenswert sind, ist es nicht genug, um dem Kurs einer feministischen Außenpolitik gerecht zu werden. Weiterreichende Konsequenzen für das iranische Regime gibt es bisweilen kaum. Zwar wurde die Sanktionsliste der Europäischen Union erweitert, aber diese treffen die iranischen Machtinhaber nicht so, wie es andere Maßnahmen könnten. Die Listung von Einzelpersonen auf internationalen Sanktionslisten, das Einfrieren von Vermögenswerten, die Stärkung der iranischen Zivilgesellschaft, die Unterstützung bei der Umgehung von Netzsperren und die Kopplung von internationalen Verträgen mit dem Iran an die Einhaltung der Frauen- und Menschenrechte vor Ort. All diese Maßnahmen sind konkret und durchführbar - wenn der politische Wille vorhanden ist. Doch das ist er offensichtlich nicht - oder anders formuliert: andere politische Teilbereiche sind scheinbar wichtiger als Menschenrechte

Die unweigerliche Frage, die sich nun stellt, ist: hat all dieses Leid etwas gebracht? Im Dezember 2022 kündigten zwei iranische Medien mit Berufung auf den Oberstaatsanwalt an, dass die Sittenpolizei aufgelöst werden solle. Formell stimmte das zwar, doch die Aufgaben der brutalen Eingreiftruppe wurden einfach von anderen Sicherheitskräften übernommen. Diese setzten vor allem auf die Überwachung und auf Kollaborateure aus der Bevölkerung. Von letzteren gibt es immer weniger - vor allem in den Großstädten haben Frauen aufgehört, ein Kopftuch zu tragen, viele ganz ohne Angst vor Konsequenzen seitens des Staates. Für ganz kurze Zeit entstand ein wenig der Eindruck, dass ein Teil des feministischen Kampfes gewonnen sei. Vergangenen Juli allerdings wurde die Reaktivierung der Sittenpolizei verkündet. Nun gibt es bereits Berichte darüber, dass Frauen, die aus Protest kein Kopftuch tragen, von der Sittenpolizei verhaftet und in sogenannte Umerziehungszentren gebracht wurden. Es scheint fast so, als ob alles wieder von vorne beginnen würde. Doch selbst das hält die iranische Bevölkerung nicht davon ab, weiter für ihre Rechte einzustehen. 

Ganz unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit), wird der Kampf für Freiheit weitergeführt.